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Frankreich will Revanche für 1870, Rückerstattung von Elsass-Lothringen und Beseitigung der englischen Occupation aus Aegypten, unter Wiederherstellung seiner eigenen früheren Präponderanz daselbst, wobei es in dem jetzigen Chediven einen Anhaltspunkt findet;

Russland das Protektorat über die Türkei und China1), sowie über die sämmtlichen Balkanstaaten;

England will Aegypten behalten, sein afrikanisches Reich vom Mittelmeer bis zum Cap auf der Ostseite von Afrika möglichst ausdehnen und vervollständigen, Indien2) und seine Meerherrschaft sichern, die Türkei wo möglich erhalten, aber bei allem dem immer «freie Hand» ohne Allianzen behalten, eine fast unmöglich kombinirte Aufgabe für seine leitenden Staatsmänner.

1) Dieses Protektorat über China ist durch die Garantirung der chinesischen Anleihe durch Russland vorbereitet worden und wird durch die Abtretung der grössten Seefestung Chinas, Port Arthur, die zu diesem Zwecke den Japanern mit Hülfe von Frankreich und Deutschland entrissen wurde, und durch die Ausmündung der asiatischen Bahnen dahin, zu einem unwiderruflichen Verhältniss gemacht, in das bloss ein Krieg Japans gegen Russland Veränderung bringen könnte. Die englische öffentliche Meinung lehnte sich bei der ersten, wie gewöhnlich dementirten, Nachricht davon augenblicklich auf; man gewöhnt sich aber zuletzt an alles, wenn man nicht die Energie zum Kriegführen besitzt.

2) Der englische grosse Besitz in Indien kann auf die Dauer mit den jetzigen Machtmitteln Englands nicht aufrecht gehalten werden, um so weniger, als die dortige Verwaltung die eingeborne Bevölkerung nicht in jeder Hinsicht befriedigt. Dieselbe geschieht in oberster Instanz in London, durch den Staatssekretär für Indien, dem ein geheimer Rath von 10 ausschliesslich englischen Mitgliedern zur Seite steht. Die Verhandlungen desselben sind geheim und werden auch durch das Parlament nicht kontrollirt. Die indischen höhern Amtsstellen sind ausschliesslich von Engländern besetzt; die Indier, welche Aemter höherer Art bekleiden wollen, müssen Examina in London bestehen, was für die meisten unmöglich ist, schon der Kosten der Reise und des Aufenthalts wegen.

Italien wünschte bisher das Protektorat über Abyssinien') und Tunis oder Tripolis zu bekommen.

Oesterreich sucht die Ausdehnung seiner «Machtsphäre» bis zum Aegäischen Meer mit Salonichi, als Gegengewicht gegen das russische Bulgarien, jedenfalls aber die politische Präponderanz in Serbien und Rumänien, und die Verhinderung eines stets drohenden Bundes aller Balkanstaaten unter russischer Leitung.

Deutschland allein hat kein ganz direktes Interesse, aber starke Rücksichten einerseits auf seinen Dreibund mit Oesterreich und Italien zu nehmen, den es auf keinen Fall gefährden darf, andererseits auch auf ein gutes Einvernehmen mit Russland, das ihm die Ruhe der Franzosen verbürgt, welche ohne Russland keinen Krieg mit Deutschland anfangen können. Es ist im Grunde die Fortsetzung der Bismarck'schen Politik, wobei allerdings Russland den grössten Gewinn davon hat2).

So stehen die politischen Schachfiguren unter den eigentlich Spielenden jetzt, aber man darf vielleicht wohl sagen, es weiss keiner der Spieler, so wenig als wir kleinere Zuschauer, die wenig oder nichts dazu zu sagen haben, wie sich das alles noch entwickeln wird. Nur dass es sich ganz friedlich nicht abwickeln wird, das weiss Jeder. Aber Jeder fürchtet sich, die Lunte an das Schiesspulver zu legen und eine allgemeine Explosion hervorzurufen, deren Tragweite und Ausgang Niemand ermessen kann.

1) Das Protektorat über Abyssinien nach dem Vertrag von Uccialli ist durch die grosse Niederlage von Adua am 1. März 1896 nunmehr unmöglich geworden und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Abyssinien eher zu Russland in ein solches Verhältniss treten würde, wenn es sich nicht vollkommen selbständig zu erhalten vermag.

2) Immerhin ist die Zeit vorüber, in welcher Deutschland «an dem Mittelmeer keine Interessen zu haben» durch Bismarck verkünden liess. Das kann jetzt kein grosser Staat mehr sagen und die Russen, die dahin tendiren, verstehen ihre Politik besser.

IV.

Es sind nun noch einige völkerrechtliche Aktenstücke zu erwähnen, die auf bereits vorhandenen, allgemein europäischen Stipulationen beruhen und in dieser orientalischen Frage eine gewisse Rolle mitspielen. Es sind dies folgende:

1. Die sogenannte Meerengen-Konvention (convention des détroits), auch «Dardanellen-Vertrag» genannt, von 1841, Art. 1 und 2, wonach die Türkei die beiden Meerengen der Dardanellen und des Bosporus, welche das Schwarze und das Mittelländische Meer verbinden, für Handelsschiffe nicht schliessen darf (oder Zöllen und dergleichen Massregeln unterwerfen), aber für Kriegsschiffe aller Nationen sperren soll. Ausgenommen war bisher je ein kleineres Stationsschiff für den persönlichen Dienst der fremden Gesandten in Konstantinopel. Dieser Vertrag ist bestätigt in dem Pariser Vertrag von 1856, Art. 10 und 11 von Annex, Art. 1, Londoner Vertrag 1871, Art. 2 und Vertrag 1878, Art. 63. Nur ist in allerneuester Zeit die Veränderung eingetreten, dass nun jeder in Konstantinopel durch Gesandte vertretenen europäischen Macht zwei Fahrzeuge erlaubt sein sollen, Türkisches Dekret vom 11. Dezember 1895. Damit ist eigentlich nunmehr der Grundsatz der Schliessung der Dardanellen und des Bosporus aufgehoben und jedem noch weitergehenden Verlangen nach Verstärkung dieser Flotten der Weg geöffnet, nachdem bereits früher aus den ursprünglich gemeinten kleineren Depeschenschiffen zum Gebrauch der in Konstantinopel residirenden Diplomaten nach und nach Kriegsschiffe geworden waren, denen die in verkommenem Zustande befindliche türkische Marine schon jetzt keinen ernstlichen Widerstand mehr leisten könnte. Man kann daher sagen, dass Konstantinopel jetzt schon in dem gemeinschaftlichen Schutz der europäischen Mächte steht,

deren Kriegsschiffe sich gegenseitig kontrolliren, damit daraus kein einseitiger Schutz werden könne1).

Russland hatte früher einmal den Versuch gemacht, mit einem Kriegstransportschiff, der sogenannten «Freiwilligen Flotte», ohne Erlaubniss der Türkei die Meerengen zu passiren; das Schiff «Kostroma» wurde angehalten, aber nachträglich Entschädigung dafür geleistet. Im Vertrag von Hunkiar Iskelessi, hatte Russland die Oeffnung der Meerengen für seine Schiffe erhalten, dagegen die Verpflichtung der Türken, sie Andern zu schliessen, beansprucht. Derselbe wurde jedoch schliesslich in Folge einer gemeinschaftlichen Flottenaktion Frankreichs und Englands wieder aufgehoben. Auch ohne das aber ist, im Ganzen genommen, der Meerengenvertrag ein Vortheil für Russland, welches dadurch im Schwarzen Meere unangreifbar wird. Es hat daher auch schon mehrfach gedroht, wenn dieser Schutz jemals wegfallen würde, wieder zur Gestattung der Kaperei in einem Seekrieg zurückzukehren.

2. Daneben bestand, als eine Folge des Krimkrieges, in welchem die grosse Seefestung Russlands am Schwarzen Meere zerstört wurde, früher der sogenannte Pon tus-Vertrag vom 30. März 1856, ein Annex des damaligen Pariser-Friedensvertrages, wonach im Schwarzen Meere keine russischen Seearsenale und Kriegsschiffe gehalten werden sollten. Von diesem Vertrag sagte sich jedoch Russland einseitig, durch ein Cirkular des Fürsten Gort

1) Diese 12 Schiffe sollen zwar angeblich nicht mehr als 1000 Mann Gesammtbesatzung haben, aber wer wird das auf die Dauer kontrolliren? Russland hat bereits überdiess Erlaubniss erhalten, Tiefsee - Messungen im Marmara-Meere durch ein Kriegsschiff vornehmen zu dürfen und macht in neuester Zeit Miene, eine Flotte an der Mündung des Bosporus aufzustellen. Einstweilen sind die Meerengen zum Theil durch Torpedos gesichert, die von den Forts aus entladen werden können. Ob Amerika auch ein Kriegsschiff nach Konstantinopel schicken darf, ist noch zweifelhaft.

schakoff von 21. Oktober 1870, während des deutschfranzösischen Krieges los und die Londoner Konferenz vom 13. März 1871 hob ihn in Folge dessen förmlich auf. Im Falle eines Angriffes durch Russland darf die Pforte die Meerengen andern Mächten öffnen.

3. Von noch unmittelbarerem Interesse ist die Suezkanal-Konvention vom 29. Oktober 1888. Ursprünglich bestand keine Gewissheit betreffend kriegsrechtliche Verhältnisse dieses Kanals. In der zweiten Baukonzession war nur gesagt, dass er dem Handelsverkehr aller Nationen offen stehen müsse. Im Jahre 1870 passirten ihn Kriegsschiffe beider kriegführenden Staaten und es war bloss zufällig, dass sie sich dort nicht begegneten, wodurch grosses Unheil, zum Beispiel durch ein in Grundbohren eines grossen Kriegsschiffes im Kanal hätte entstehen müssen. Daher wurde seither an einer Konvention gearbeitet, für welche ein Vorbild in dem sogenannten Clayton - Bulwervertrag zwischen England und Nordamerika vom 19. April 1850 vorlag, welcher sagt, dass im Fall der Durchstechung des Isthmus von Panama (die schon damals in Frage stand) weder England noch Nordamerika Sonderrechte an einen solchen Kanal behaupten, sondern ihn als für alle Staaten freien Seeweg behandeln und gegen Beeinträchtigungen auch in Kriegszeiten schützen sollen. Es ist also eine Art Neutralität dieses Seeweges stipulirt; doch hat in neuerer Zeit Amerika die sogenannte Monroe-Doktrin wieder stärker betont, die dem entgegensteht.

Im gleichen Sinne wurde nun von 1883 bis 1888 von den Mächten, ursprünglich unter Anregung Englands, später Frankreichs, über die Suezfrage verhandelt, bis am 29. Oktobor in Konstantinopel ein Vertrag von Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Spanien, Frankreich, England, Italien, Holland, Russland und der Türkei zu Stande kam, der sagt:

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