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Die Mächte verpflichten sich, den Kanal in Kriegsund Friedenszeiten gegen jede Beschädigung und Hinderung des freien Gebrauchs durch Handels- und Kriegsschiffe zu schützen. Die Passage ist in Krieg und Frieden für beide Arten Schiffe frei. Es darf auch der Kanal nie blockirt werden und in demselben und seinen Zufahrtshäfen, sowie in einer Zone von 3 Seemeilen von denselben entfernt keinerlei Kriegsmassregel stattfinden; auch darf kein Kriegsschiff im Kanal stationiren, und in den Zufahrtshäfen bloss je zwei für jede Macht, kriegführende immer ausgeschlossen. Die in Aegypten accreditirten. Diplomaten beaufsichtigen den Vertrag und halten jährlich eine Konferenz ab.

V.

Das Interesse der schweizerischen Eidgenossenschaft an der orientalischen Frage ist folgendes:

Mit der Türkei steht sie bisher in keiner direkten diplomatischen oder Handelsvertrags-Verbindung. Die türkische Regierung behandelte uns bisher herkömmlich als eine Art Annex Frankreichs, noch seit der alten Zeit her, wo die Schweizer im Ausland als Protegirte Frankreichs angesehen und von dessen diplomatischen Vertretern gleich eigenen Angehörigen geschützt wurden. Sie wendet daher thatsächlich die französischen Vertragsverhältnisse auf die Schweiz an. Es wird das ohne Zweifel sich einmal ändern, vielleicht im Zusammenhang mit einer Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit. Diese Gerichtsbarkeit, welche eine Ausnahme von der gewöhnlichen Regel der territorialen Justizhoheit bildet, ist im türkischen Reiche entstanden und daselbst noch in uneingeschränktem Massstabe erhalten geblieben, während andere orientalische Länder, wie besonders Japan, dieselbe gegenwärtig zu beseitigen im Begriffe stehen1) und in

1) Japan hat bereits solche Verträge mit Deutschland und neuestens mit Frankreich abgeschlossen; soviel uns bekannt, ist aber der deutsche Vertrag von 1889 noch nicht ratifizirt worden.

Aegypten bereits ein Mittelsystem in Anwendung steht. Sie beruht natürlich stets auf Verträgen, oder entsprechender Rechtsgewohnheit. Der erste dieser Verträge wurde 1535 von Franz I. von Frankreich mit dem Sultan Soliman II. abgeschlossen, wonach der Letztere die Verpflichtung eingieng, die Urtheile der französischen Konsuln über ihre Angehörigen in seinem Reiche anzuerkennen und durch seine Beamten exequiren zu lassen.

Ausgeführt wurde der Vertrag dann durch ein édit du roi von 1778 und eine weitere sogenannte Kapitulation mit der Türkei von 1740, welche das jetzt noch geltende Recht enthält, mit der einzigen Ausnahme, dass die Türkei eine Zeitlang sogenannte gemischte Gerichte (tribunaux mixtes) für die Streitigkeiten einzuführen versuchte, welche zwischen türkischen Unterthanen und Ausländern vorkommen. Auch für Ausländer von verschiedener Nationalität bestanden zeitweilig sogenannte «commissions mixtes», die aber ein französisches Urtheil des Gerichtshofes von Aix vom 28. November 1864 als nicht obligatorisch erklärte. So dass seither nun wieder die alte Gerichtsbarkeit, nach dem Vertrag von 1740 mit Frankreich, besteht, mit Kompetenz des Konsular- oder Gesandtschaftsgerichtes des beklagten Theils. Es muss jetzt bei Klagen eines Türken gegen einen Fremden nach ziemlich entschieden vorherrschender Praxis der Prozess einfach vor dem Konsulargericht des Letztern geführt werden, während im umgekehrten Falle ein fremder Kläger, wenn er gegen einen Türken vor dem türkischen. Richter klagt, den Beistand seines nationalen Gesandtschafts-Dragomans beanspruchen kann und in grösseren Fällen ursprünglich sich sogar direkt an den Divan des Sultans, also an das höchste Gericht wenden konnte, was jetzt aber nicht mehr üblich ist. Auch in Kriminalsachen kann ein angeschuldigter Fremder nur unter Beizug seiner diplomatischen Vertreter von den türkischen

Gerichten verfolgt werden und überhaupt nur, wenn nicht die eigene Gesandtschafts-Justiz sich seiner bemächtigen will. Doch ist das in neuerer Zeit eine Art von Privilegium bloss der grösseren Mächte geworden, das den kleineren bestritten wird.

In Aegypten bestehen seit 1867 für Civilstreitigkeiten zwischen Fremden und Einheimischen und einige. wenige Ausnahmsfälle der Kriminaljustiz sogenannte gemischte Gerichte, in denen die fremden Beisitzer die Majorität bilden und wobei irgendwelche Geschenke, oder sonst im Orient übliche Beeinflussungen der Richter streng verboten sind.

Die Türkei versuchte in neuerer Zeit wiederholt sich der Justizausübung mehr zu bemächtigen, stiess aber stets auf den Widerstand der europäischen Mächte und auch das Institut de droit international sprach sich im Jahre 1883 dahin aus, dass der Augenblick noch nicht gekommen sei, in welchem die Angehörigen der europäischen und amerikanischen Staaten den Gesetzen und der Autorität der orientalischen Welt unterworfen werden können. Zweckmässig wäre eine förmliche Verständigung der civilisirten Staaten über dieses ihr Verhalten, nicht allein gegenüber der Türkei, sondern auch gegenüber Persien, China, Japan und etwaigen anderen Staaten, die als halbcivilisirt betrachtet werden können, während dermalen noch alle auf eigene Faust handeln, und der französische Vertrag von 1740 nur das Ansehen eines Mustervertrags besitzt, nach dem sich die Praxis einigermassen richtet 1).

1) Vgl. über das Alles: Sawas Pascha, «Etude sur la théorie du droit musulman»> 1892 und «Les tribunaux d'Islam et l'organisation judiciaire ottomane» in dem Heft für législation pénale comparée 1894. Ferner Dr. Kebedgy, «La jurisdiction consulaire et les affaires mixtes en Orient >> 1895. Férand-Giraud, Les institutions judiciaires de l'Egypte; Bericht an das Institut de droit international.

Das Alles betrifft die in der Türkei lebenden Schweizer insofern, als dieselben sich unter die Justiz der französischen, deutschen, oder amerikanischen Gesandtschaften oder Konsulate und deren Gerichtsbarkeit stellen können. Nur müssen sie dann deren Urtheilsprüche auch als verbindlich anerkennen und können sich nicht nachträglich um Schutz dagegen an die Eidgenossenschaft wenden, wie es auch schon versucht worden ist. Bei einer grösseren Vermehrung der schweizerischen Bevölkerung in der Türkei, würde, sofern sich deren Verhältnisse überhaupt noch längere Zeit erhalten, eine schweizerische eigene Vertretung in Konstantinopel in Frage kommen können. Doch gehört dazu eine sehr passende Persönlichkeit, die nicht so leicht zu finden ist.

Direkter interessiren uns diese orientalischen Verhältnisse desshalb, weil sie stets den Keim eines europäischen Krieges in sich tragen. Die Türkei ist der Wetterwinkel, aus dem ein europäisches Gewitter jeden Augenblick aufsteigen kann, und dann überall, auch an unserer Gränze, seine Wirkungen übt. Es ist bei aller Geschicklichkeit der türkischen Diplomatie im Hinausschieben aller entscheidenden Lösungen und in der Benutzung der Eifersucht und Uneinigkeit der europäischen Mächte, welche dem gebrechlichen Staate schon seit einem Jahrhundert das Dasein gefristet hat, doch nicht wahrscheinlich, dass dies noch ein zweites, oder auch nur ein halbes Jahrhundert fortgesetzt werden könne. Dazu ist das Mittelmeer jetzt viel zu wichtig und zu naheliegend für alle Betheiligten geworden. Jedenfalls aber liegt es ganz in der Hand Russlands, die Liquidation herbeizuführen, sobald es dazu, wenn auch nur ganz einseitig, entschlossen ist.

Nach derselben werden grosse Länder, die einst Stätten der höchsten Kultur waren, nun aber seit Jahrhunderten unter der muselmanischen Herrschaft brach lagen und die in unserer viel unmittelbareren Nähe, als

Amerika, sind, der Kultur wieder erschlossen und es wird das Mittelmeerbecken überhaupt wieder der Sitz des Welthandels in viel grösserem Massstabe werden. Denn es kommt dazu dann noch die asiatische Eisenbahnentwicklung, die den Seeweg auch nach dem entfernteren Osten in Kurzem so gewiss und so vollständig ersetzen wird, wie bereits der Suezkanal den Weg um Afrika herum ersetzt hat. Wenn man einmal zu Lande von Europa nach Indien und China fahren kann, so wird der Handel diese Eisenbahnen und nicht die viel langsamere und gefährlichere Schifffahrt benutzen. Das Alles kommt in der nächsten Friedensperiode, nach Ablauf eines Krieges, der uns noch muthmasslich bevorsteht. Die orientalische Frage, wie sie bisher bestand, hat dann aber allerdings jetzt auch noch ihre Fortsetzung in der Liquidation des ebenfalls an hoffnungslosem Marasmus leidenden chinesischen Reiches zu gewärtigen, mit welcher Frage die englische Herrschaft in Indien und die Bedeutung des englischen Weltreiches überhaupt ebenso sehr in Beziehung steht, wie mit der Eröffnung des Landweges nach Indien und China. Es wird sich fragen, ob dann die englische Seeherrschaft überhaupt noch von Bedeutung sein wird, und keinesfalls wird es England gelingen, sein Prestige ohne allgemeine Dienstpflicht und ohne Allianzen aufrecht zu erhalten. Wenn es nicht noch vorher den gewagten Versuch machen will, sich mit Russland über eine Theilung der Welt zu verständigen, so ist die Allianz mit Deutschland und dem Dreibund die natürlich gegebene Politik, um der sonst nothwendigen Isolirung zuvorzukommen.

Nach einer solchen Liquidation hat auch der schweizerische Handel') und die schweizerische Industrie eine

1) Unser Handel mit diesen Ländern ist dermalen nicht sehr bedeutend, nämlich 1895: Aus der europäischen Türkei und Montenegro: Einfuhr 1,048,440; Ausfuhr dahin 5,027,920 Fr. Aus der asiatischen Türkei nebst Persien: Einfuhr 2,017,176; Ausfuhr dahin 3,736,538 Fr. Hingegen aus Aegypten: Einfuhr 14,364,656; Ausfuhr dahin 2,273,146 Fr.

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