Images de page
PDF
ePub

einem Centralpunkte des geistigen Verkehrs und des Frohsinns zu machen, wobei außer seinem Wig und seiner Kunst des Erzählens, auch noch zwei schöne, leichtfertige Schwestern eine Anziehungskraft ausübten, von denen die eine den Wein, die andere die Männer liebte. Das Aufsehen, das er hierdurch hervorrief, erregte die Neugier der Königin. Der Malade à la mode mußte in einer Chaise zu ihr getragen werden. Das kleine Canonicat von Mans war das praktische Ergebniß davon. Aber mehr noch als das. Der armselige Krüppel erwarb sich auch noch das Interesse und die Neigung eines zwar armen, aber schönen, ehrbaren, geistvollen Mädchens. Er hatte die Kühnheit, ihm einen Heirathsantrag zu machen und Melle Aubigné, spätere Frau von Maintenon und Beherrscherin des glänzendsten Thrones von Europa, wurde sein Weib. Scarron hat um die Entwicklung ihres Geistes sicher große Verdienste. Was sie ihm gewesen beweisen dagegen die Worte, die er auf seinem Sterbebette an einen seiner Freunde gerichtet. „Der einzige Vorwurf, den ich mir mache, ist, daß ich meiner Frau nichts zu hinterlassen vermag, die unendliche Verdienste um mich hat und die ich in jeder Beziehung nur loben kann.“ Seine Heiterkeit verließ ihn auch jezt nicht: „Kinder, sagte er fast schon gebrochen zu den ihn Umweinenden, ihr werdet nicht so viel weinen, als ich euch lachen gemacht." Er starb 1660.

Scarron ist sicher ungleich bedeutender, als wunderbares Phänomen in der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes, denn als Poet und besonders als dramatischer Dichter. Was er unter den geschilderten Umständen geschaffen, ist in Anbetracht ihrer jedenfalls staunenswerth, doch ist es fraglich, ob sein Talent unter günstigeren Verhältnissen einen viel höheren Aufschwung zu nehmen vermocht haben würde. Seine komischen Schriften, so geschäßt auch zu ihrer Zeit, sind nicht entfernt mit denen von Rabelais zu vergleichen. Sein komischer Roman ist vielleicht das einzige, was heute von ihm noch lesbar ist. Auf dem Gebiete des Dramas ist er natürlich nur im Lustspiel thätig gewesen, dem er einen burlesken Anstrich gegeben hat. Wenn Gebrüder Parfait sagen, daß er der erste gewesen sei, welcher den komischen Dialog auf der Bühne eingeführt habe, so kann sich das nur auf den burlesken Stil desselben beziehen. Denn für das feinere Lustspiel hatte der große Corneille in seinem Menteur auch hierin ein ungleich bedeutenderes Muster gegeben. Andrerseits

[blocks in formation]

dürften die geringschäßigen Urtheile, welche man neuerdings über die Lustspiele Scarron's fällt, doch wieder zu weitgehend sein. Sein Jodelet ou le maître valet, der wie fast alle Stücke desselben dem Spanischen und zwar dem Donde hay agravio no hay zelos des Rojas nachgebildet ist, hatte einen unglaublichen Erfolg. Er beruhte freilich hauptsächlich auf der zwar rohen, aber glänzenden Rolle der Hauptperson und ihres ersten Darstellers, der ihr den Namen gab. Sie wurde für lange zu einer stehenden Figur der französischen Lustspielbühne und rief eine Menge Stücke hervor. Wenn Scarron's Lustspiele durch Molière auch völlig in Schatten gestellt wurden, so gehört er für den burlesken Theil der Stücke des letteren doch unstreitig zu seinen Vorläufern. Der Jodelet erhielt sich aber auch noch neben ihm fort. Er trat mit demselben 1645 auf und beschloß seine dramatische Laufbahn, auf der er sich durch keine Regel einengen ließ, 1656 mit seinem Le marquis ridicule ou la comtesse faite à la hâte.*)

Eine ganz andere Stellung nahm Philippe Quinault**) ein. Nicht wie von Vielen angenommen worden, der Sohn eines Fleischers, obschon möglicherweise sein Großvater diesem Stand angehörte, sondern einer jezt schon den bessern Ständen angehörenden Familie entstammend, wurde er 1635 zu Paris geboren. Er war auch nie, wie man gesagt, der Diener Tristan's l'Hermite, wohl aber hat dieser sich seiner Ausbildung angenommen, indem er ihn nach dem Tode seiner Gattin gemeinsam mit seinem Sohne erziehen ließ. Die Dankbarkeit Quinault's kam diesen Bemühungen fördernd entgegen. Sein poetisches Talent entwickelte sich in so überraschender Weise, daß er bereits mit 18 Jahren ein Lustspiel, Les rivales (1653), verfaßte, welches einen außerordentlichen Erfolg erzielte. Duinault hatte die Rechte studirt, trat auch in den Advocatenstand ein, widmete sich aber von 1656 an völlig der Bühne. Es war besonders die Tragödie, die er jet pflegte und die ihn zu einem bevorzugten Rivalen Corneille's machte, wozu die maßgebendste kritische Stimme der Zeit, das Urtheil Boi=

*) Seine übrigen Stücke sind: Les boutades du capitain Matamore (1646) Les trois Dorothées ou Jodelet souffleté (1646), L'héritier ridicule ou la dame interessée (1649), Don Japhet d'Arménie (1653), L'écolier de Salamanque (1654), Le gardien de soi-même (1656) und zwei nicht aufgeführte.

**) Vie de Quinault in der Edition seines Theaters von 1715. Pélisson et d'Olivet a. a. D. II. 225. Parfait, a. a. D. VII. 430.

leau's wesentlich beitrug. Seinen größten Triumph brachte ihm 1663 die Tragödie Astrate, doch auch Les coups de l'amour et de la fortune und La Mort de Cyrus (1656), seine Stratonice (1660), und Agrippa, Roi d'Albe (1661) fanden viel Beifall.

Diese Erfolge beruhten hauptsächlich darauf, daß zu derselben Zeit, da Corneille auch noch die heroischen Leidenschaften gegen die Reflection in seinen Dramen zurücktreten ließ und mehr seinen Ehrgeiz darein zu seßen schien, politische und staatsmännische Weisheit und Kenntnisse, als poetische Empfindung und dramatisches Leben zu zeigen, Quinault gerade die Liebe und die zarteren Herzensconflikte zum Gegenstand seiner Darstellungen machte und hierdurch gewissermaße nan den Cid, von dem Corneille mehr und mehr abgewichen war, wenn auch in ungleich schwächlicherer Weise wieder anknüpfte. Was bedurfte es da weiter als eines Mannes, der mit wahrhaft großem Talent die von ihm eingeschlagene Richtung ergriff, um ihn auch selbst wieder in Schatten zu stellen. Ein solcher erschien in Racine, um den sich rasch eine starke, leidenschaftlich für ihn eingenommene Parteigängerschaft bildete und auf dessen Seite sich auch noch derjenige stellte, der ihn bisher noch gestüßt hatte, und sich nicht scheute, seinem bisherigen Schooßkind in fast cynischer Weise jedes Talent zu bestreiten. Mit Racine's Andromaque (1666) war Quinault's Niederlage auf dem Gebiete der Tragödie entschieden.

Wenn es auch wirklich die Gattin Quinault's, der sich um diese Zeit verheirathet hatte, gewesen sein sollte, die ihn, dem Theater zu entsagen und eine Stelle, das Amt eines Auditeur des comptes, zu erkaufen bestimmte, so haben doch jene Verhältnisse hierauf sicher mit eingewirkt. Auch hatten sie vielleicht einigen Antheil daran, daß die Herren von der Chambre des comptes Quinault den Eintritt anfangs aus dem Grunde verweigerten, weil er seit mehreren Jahren nichts weiter als ein Bühnenschriftsteller gewesen sei.*) Erst 1671 erhielt er den erbetenen Plaz, nachdem er im vorausgehenden Jahre Mitglied der französischen Academie geworden war.

*) Die geht aus dem Quattrain hervor:
Quinault, le plus grand des auteurs

Dans votre corps, Messieurs, a dessein de paraître.
Puis qu'il a fait tant d'auditeurs

Pourquoi l'empêchez-vous de l'être?

[blocks in formation]

Um diese Zeit wendete sich Quinault der lyrischen Poesie zu, welche sich als das eigentliche Feld seines poetischen Talentes erwies. Die Oper hatte sich eben zu entwickeln begonnen und Lully gab Quinault den Vorzug vor allen lyrischen Talenten der Zeit. Hier sollten ihm denn neue Lorbeeren erblühen und kein Geringerer als Boileau, der sich ihm jezt wieder zuneigte, sollte sie ihm um die Stirne mit winden. Doch gehört dieser Theil seines Wirkens erst einem späteren Abschnitte an; wie wir ihn ja auch noch im Lustspiel zu begegnen haben.

Quinault war eine wohlwollende, neidlose Natur. Die gehässigen Angriffe Boileau's und des Racine'schen Kreises, wie tief sie ihn auch verwundeten, rangen ihm nie eine feindselige Erwiderung ab. Einfach in seinen Lebensgewohnheiten, ein trefflicher Gatte und Familienvater, quälte ihn bei seinem langsam herannahenden Tode nur der Gedanke, die Oper durch eine zu weichliche Moral vergiftet zu haben. Er starb 1688. Auch Boileau griff in dieser Beziehung einige Jahre später (1693) den dahingeschiedenen Dichter noch einmal an (in seiner 10. Satire), wobei er sich auf folgende Stelle der Oper Atys bezog (Akt III, Scene II.):

Dans l'empire amoureux

Le devoir n'a point de puissance.
Il faut souvent, pour devenir heureux,
Qu'il coûte un peu d'innocence.

Brölk, Drama II.

8

IV.

Racine und die zeitgenössichen Dramatiker.

[ocr errors]

Gegensaz von Racine und Corneille. Verschiedenheit der Verhältnisse beim Auftreten Beider. Leben Jean Racine's; Aufenthalt in Port Royal und im Collège Harcourt; erste poetische Versuche und Beziehungen zur Bühne; versuchter Uebertritt zur Theologie; Rückkehr zur Poesie und zum Drama; Verkehr mit Boileau, Lafontaine, Chapelle und Molière; Beziehungen zum Hofe.. Die Thébaide. Alexandre le Grand; Zerwürfniß mit Molière. Charakter der weltlichen Dramen Racine's. Andromaque. Zerwürfniß mit Port Royal.

[ocr errors]

Plaideurs.

der Gegner. Bouillon.

Brittanicus. Bérénice. Bajazet.
Phädre.

-

Seine Heirath.

Les

Iphigénie. Kabalen

Die Phädre des Pradon und die Kabale des Hôtel de Nicole Boileau und sein Verhältniß zu Racine. Rücktritt Racine's Seine Versöhnung mit Boileau und Racine als Historiographen des Königs. Charakteristik Racine's. Sein Tod.

von der Thätigkeit für die Bühne.

Port Royal. nnd Athalie.

-

[ocr errors][merged small]

Dichter. Chapelle; Abeille; Campistron; Péchentrés; d'Aubigny und Duché

[ocr errors][merged small]

Racine und Corneille waren lange noch Zeitgenossen. Die Verhältnisse, unter denen sie auftraten und in denen sie sich entwickelten, aber waren wesentlich andere. Sie stellen sich für Racine als in vielen Beziehungen günstigere dar.

Corneille fand die Bühne noch halb im Zustande der Verwilderung, halb in den einer unter den Einflüssen des Marinismus und Gongorismus erkünftelten Ueberfeinerung vor. Er hatte die natürliche Empfindung, die nationale Eigenthümlichkeit erst aus den conventionellen Fesseln dieser lezteren zu befreien, um einen eignen nationalen Stil aus ihnen entwickeln zu können. Indem er demselben einen erhabenen, heroischen Charakter, einen glänzenden, fortreißenden Ausdruck verlieh und den Geschmack seiner Zeit hierdurch läuterte und hob, ahmte er weniger fremde Muster nach, als daß er eigene aufstellte.

Racine fand diese Muster, diesen Stil, diesen veränderten Zustand des Geschmacks und der Bühne, wenn auch jene pretiöse Richtung daneben noch fortdauerte, dagegen schon vor. Doch dies nicht allein. Welch außerordentlichen Fortschritt hatten von Malherbe bis Descartes und Pascal Sprache und Stil überhaupt gemacht! Zu welcher Entwickelung war nicht inzwischen das, was man den französischen Geist nennen kann, unter dem Einflusse des Cartesianis

« PrécédentContinuer »