Images de page
PDF
ePub

schwiegenheit geloben mußten. Staatsgefährlich dürfte sie kaum gewesen sein, da sich ihre „Mysterien“ im wesentlichen auf die Hochschätzung der Fünfzahl und der himmelblauen Farbe beschränkt zu haben scheinen.

Harmlos war auch die „Société du Cheval rouge“, die Balzac mit Gautier und einigen anderen gründete in der festen Überzeugung, daß ihre Mitglieder durch Beeinflussung der Salons und der öffentlichen Meinung sich gegenseitig Macht und Ruhm verschaffen würden. Eine romantische Steigerung davon findet sich in der Menschlichen Komödie. Es ist der Bund der Dreizehn, eine,,Verbindung überlegener Menschen, kalter und spöttischer Geister, die inmitten einer falschen und mesquinen Gesellschaft lachend und fluchend ihr Wesen trieben.“ Sie verdankt ihre Entstehung einem literarischen Vorbild:Otways gerettetem Venedig. Balzac bewunderte in diesem Drama „die erhabene Verbindung von Peter und Jaffier ... die eigentümlichen Tugenden der Männer, die außerhalb der sozialen Ordnung stehen..., die Vorrechte der exorbitanten Macht, welche diese Menschen zu erobern wissen, indem sie alle Ideen in einen einzigen Willen verschmelzen."

Ein skurriles Seitenstück zu dem Bund der Dreizehn bilden die Chevaliers de la Désoeuvrance (in Un Ménage de Garçon): ein Klub junger Bürgersöhne, die sich zusammentun, um durch Schelmenstücke die friedsamen Bewohner einer kleinen Provinzstadt zu erschrecken Ahnen der „Copains" von Jules Romains.

Ein Geheimbund von Zuchthaussträflingen ist die Ge

sellschaft der,,Grands Fanandels", deren Organisation den Hintergrund für die Abenteurerlaufbahn eines Vautrin bildet.

Auch die alte Gesellenverbindung der „,Compagnons", deren Entstehung bis ins vierzehnte, vielleicht sogar bis ins zwölfte Jahrhundert zurückgeht, und deren Bestehen noch im neunzehnten Jahrhundert bezeugt ist (manche Historiker leiten die Carbonari-Bewegung aus ihr ab), spielt in der Menschlichen Komödie eine Rolle. Sie mußte Balzac besonders interessieren, da in ihr die mystische und revolutionäre Tradition der mittelalterlichen Bauhütten fortlebte. Die Compagnons waren von der Kirche als Ketzer verfolgt worden. Sie führten ihre Gründung auf den Bau des salomonischen Tempels zurück. Zu ihrem Sprecher macht Balzac den Alchemisten Ruggieri, den er Karl IX. gegenüberstellt: „Indem er die Templer verbrannte, Sire, hat einer Ihrer Vorgänger nur Menschen verbrannt; die Geheimnisse sind uns geblieben. Der Wiederaufbau des Tempels ist das Losungswort einer unbekannten Nation; es ist ein Geschlecht furchtloser Sucher; sie sind alle nach dem Orient des Lebens gewandt, alle Brüder, alle unzertrennlich, vereint durch einen Gedanken, gezeichnet mit dem Siegel der Arbeit." Auch in der Vorrede zur „Histoire des Treize" macht Balzac Andeutungen über die Compagnons, die noch heute im französischen Volk Anhänger hätten und deren Lehren wahr und geheimnisvoll genug seien, um alle Adepten zu begeistern.

Eine geheime Gesellschaft, die ausschließlich caritative und seelsorgerliche Zwecke verfolgt, bilden endlich die

Frères de la Consolation (in,,L'Envers de l'Histoire contemporaine").

All diese Elemente der Menschlichen Komödie haben Stützpunkte und Parallelen in Balzacs Epoche. Aber das Interesse und die spürbare Sympathie, die Balzac ihnen zuwendet, entstammen doch seiner persönlichen Wesensart. Und das gilt nicht nur von den geheimen Gesellschaften, sondern vom Phänomen des Geheimnisses überhaupt. Dieses gehört ja zum Bestande der romantischen Seelenwelt. Der Besitz eines dunklen Geheimnisses trug viel zum faszinierenden Reiz bei, den Byrons Gestalten auf die Zeitgenossen ausübten. Aber auch in der französischen Romantik war das Motiv viel verwandt worden. Man denke nur an,,René“ oder an „Mademoiselle de Maupin", an Gedichte wie Lamartines „Un nom" oder das Sonnet von Arvers mit dem bezeichnenden Anfang:

Mon âme a son secret, ma vie a son mystère... Indes, mit Ausnahme von Byron und Chateaubriand (bei denen das Geheimnis der Ausdruck eines seelischen Konflikts ist), handelt es sich dabei doch meist nur um eine literarische Mode oder um ein sentimentales Bedürf nis. Gewiß ist Balzacs Kultus des Geheimnisses durch solche Zeiterscheinungen gestärkt worden. Aber er ist nicht von ihnen abhängig, sondern ist ihnen nur begegnet und hat dadurch vielleicht an Resonanz gewonnen.

-an

Das Geheimnis quillt bei Balzac aus der innersten, persönlichsten Lebensschicht und durchdringt von da aus sein Denken und Schaffen. Zuvörderst und zutiefst ist das Geheimnis für Balzac die Form des Lebens. Geheimnis

ist Leben, und Leben ist Geheimnis. Und die Lösung des Lebensgeheimnisses? Balzac hat sie gesucht auf vielen Pfaden. Sein Leben, seine Kunst sind eine „Recherche de l'Absolu". Aber der faustische Held des so betitelten Romans, der mystische Alchemist Balthasar Claes, ist dem Geheimnis des Lebens nie auf den Grund gekommen. Als Märtyrer des Erkenntnisdrangs legt er sich zum Sterben nieder. Da, in der Agonie, fährt er plötzlich empor, stößt ein Heureka aus er weiß, weiß jetzt plötzlich das lang gesuchte. Aber er kann es nicht mehr sagen, er sinkt verglasten Auges zurück und stirbt. So mag auch Balzac die Lösung des großen Mysteriums erst im Tode gefunden haben.

Zwischen dem Nochnichtsagenkönnen und dem Nichtmehrsagenkönnen des Lebensgeheimnisses wölbt sich der schimmernde Bogen seiner Kunst.

MAGIE

IM Dämmer der Geschichte muß sich einmal das Wunderbare begeben haben, daß der Mensch in Kampf, Spiel und Arbeit innehielt, weil er vom Staunen über sein Wesen gepackt wurde. Er sann über sich nach. In dieser Stunde wurde der Keim gelegt zu allem, was sich später in Religion, Philosophie, Dichtung, Wissenschaft auseinandergelegt und entfaltet hat.

Der Mensch erfaßte sich als Wesen, in dem eine Kraft wirkt. Sie ist Atem, sie ist Bewegung, sie ist Denken. Sie ist ein Hauch, der Seele und Leben heißen kann. Aber all dies sind doch Namen derselben Kraft: verläßt sie den Menschen, dann ist es mit ihm zu Ende. Dann hören Atem, Bewegung, Seele, Leben auf. Diese Kraft muß im Leibe wohnen. Eine ähnliche Kraft muß in allem wohnen, was Bewegung, Leben, Hauch hat: in den Tieren, in dem Winde, im Wasser, im Feuer, ja im Stein: denn der Magnetstein vermag ja das Eisen anzuziehen. So ist die ganze Welt voller Kräfte, ist belebt und beseelt. Unendlich viele Kräfte, die sich verwandt sind, bilden die Welt. Und die Kräfte können ineinander übergehen. Alles ist ewiger Fluß. Der Mensch nährt sich

« PrécédentContinuer »