Images de page
PDF
ePub

Our birth is but a sleep and a forgetting:
The Soul that rises with us, our life's star,
Hath had elsewhere its setting,

And cometh from afar:

Not in entire forgetfulness,

And not in utter nakedness,

But trailing clouds of glory do we come
From God, who is our home:

Heaven lies about us in our infancy!

Wir wissen wenig von der Kindheitsgeschichte der großen Menschen. Wenig genug ist auch von Balzac überliefert worden. Und doch geben auch diese dürftigen Züge uns Anhaltspunkte.

Balzac wurde gleich nach der Geburt (20. Mai 1799) einer Amme auf dem Lande anvertraut und blieb bis zum fünften Jahre in ihrer Obhut. Dann verbrachte er einige Jahre im Elternhause in Tours. Er war ein stilles Kind und galt für geistig wenig entwickelt. Aber sein Insichgekehrtsein war nicht Stumpfheit. Der Tod des Großvaters macht auf den sechsjährigen Knaben einen Eindruck, der noch nach Monaten nachwirkte. Seine Lieblingsbeschäftigung in diesen Jahren besteht darin, einer kleinen Kindergeige Töne zu entlocken, mit denen er seine Umgebung martert, während er selbst in Ekstase verloren dasitzt.

Mit acht Jahren wird er wieder von Hause entfernt und in dem Erziehungsinstitut der Oratorianer in Vendôme untergebracht (Juni 1807). Aber das Internatsdasein

schädigte seine Gesundheit so, daß er auf Wunsch des Anstaltsleiters als Vierzehnjähriger aus dem Collège genommen wurde. Er war in einem Zustand, der als Koma beschrieben wird, „glich jenen Somnambulen, die mit offenen Augen schlafen; hörte die meisten Fragen nicht, die man an ihn richtete und wußte nichts zu antworten, wenn man ihn plötzlich fragte: Woran denkst du? Wo bist du?" So berichtet Balzacs Schwester Mme. Surville. Der krankhafte Zustand war die Folge einer maßlosen Lesewut, die Balzac in der Bibliothek des Internats befriedigt hatte, während er seine Studien völlig vernachlässigte und als schlechter Schüler galt. Einer seiner Lehrer hat später erzählt, in den beiden ersten Schuljahren habe man nichts aus dem Jungen herausholen können, dann habe er angefangen, eine Unmenge von Aufsätzen anzufertigen und sich dadurch bei den Mitschülern den Ruf eines Schriftstellers erworben. Charakterisiert wurde er mit den Worten:,,grande insouciance, taciturnité, pas de méchanceté, originalité complète". Wahrscheinlich wegen seiner großen Gleichgültigkeit“ wurde er oft in seiner Schlafzelle oder im Holzschuppen eingesperrt. Einmal mußte er eine ganze Woche darin verbringen. Was mag damals in ihm vorgegangen sein? Wir können es nicht wissen, aber wir dürfen an das Selbstbekenntnis Rimbauds erinnern: „Dans un grenier, où je fus enfermé à douze ans, j'ai connu le monde, j'ai illustré la comédie humaine..."

In das Vaterhaus nach Tours zurückgekehrt, erholte sich Balzac sehr bald wieder. Spaziergänge und Spiele

gaben ihm die rote Farbe der Gesundheit zurück. Auf der Schule zeichnete er sich auch damals nicht aus, was ihn aber nicht hinderte, immer wieder zu versichern, er würde ein berühmter Mann werden. Wenn die anderen darüber spotteten, konnte er gutmütig mitlachen. Vor allem hielt es die Mutter für ihre Pflicht, den sonderbaren Jungen zu ducken, der sie durch sein Selbstgefühl ebenso wie durch seine Neigung zur Träumerei reizte.

Das ist das Tatsächliche, was wir durch Berichte anderer über Balzacs Kindheit wissen.

Wie er sie selbst später gesehen hat, zeigt ein erst kürzlich veröffentlichter Brief an Frau von Hanska aus dem Jahr 1846.Balzac kommt von einem Besuch bei seiner Mutter zurück. „Ich bin wiedergekommen in der tiefsten Verzweiflung. Ich habe niemals eine Mutter gehabt; heute hat sich der Feind erklärt. Ich habe dir diese Wunde nie enthüllt, sie war zu grausig, und man muß es sehen, um es zu glauben. Sowie ich zur Welt gebracht war, bin ich einer Amme übergeben worden, die eine Art von Gendarm war; und ich bin bis zum Alter von vier Jahren dort geblieben. Von vier bis sechs Jahren war ich in Halbpension, mit sechseinhalb Jahren wurde ich nach Vendôme geschickt, dort bin ich bis zu vierzehn Jahren geblieben, 1813), in welcher Zeit ich meine Mutter nur zweimal gesehen habe. Von vier bis sechs Jahren sah ich sie an den Sonntagen. Schließlich hat eines Tages ein

1) Die Daten sind nicht ganz genau, wie das Register der Anstalt ergibt; vgl. oben.

Dienstmädchen uns ins Unglück gestürzt, meine Schwester Laura und mich1). Als sie (die Mutter) mich dann zu sich nahm, hat sie mir das Leben so hart gemacht, daß ich mit achtzehn Jahren, 1817, das Vaterhaus verließ und mich in einem Speicher in der Rue Lesdiguières einrichtete, wo ich das Leben führte, das ich in La Peau de Chagrin beschrieben habe. Ich bin also, ich und Laurence, der Gegenstand ihres Hasses gewesen. Sie hat Laurence getötet, aber ich lebe.“

Die innere Geschichte seiner Kindheit hat Balzac erzählt in „La Peau de Chagrin“, in „Louis Lambert“ und was bisher wenig beachtet worden ist in „Le Lys dans la Vallée".

Was,,Louis Lambert" betrifft, so versichert Mme. Surville, daß im ersten Teil des Romans der Erzähler und sein Freund Lambert ein und dieselbe Gestalt wären: „,es ist Balzac in zwei Personen. Das Leben in der Schule, die kleinen Ereignisse seiner Tage, was er dort litt und dort dachte, alles ist wahr". Wie schildert nun Balzac Louis Lambert? Louis ist ein äußerst sensitives Kind.,,Seine Sinne besaßen eine außergewöhnliche Zartheit, und alles in ihm litt unter dem Zwang des Zusammenlebens." Still, verschlossen, leidend, unverstanden von Lehrern und Kameraden, apathisch nach außen, aber ganz erfüllt von

1) Dieser Satz bezieht sich jedenfalls auf das weiter unten besprochene Kindheitserlebnis, das in Le Lys dans la Vallée berichtet wird. Das Kindermädchen dürfte identisch sein mit,,notre gouvernante, une terrible mademoiselle Caroline", wie es in dem Roman heißt.

inneren Gesichten und metaphysischen Ahnungen, die er in einer Abhandlung über die Natur der Seele niederlegt, begabt mit okkulten Fähigkeiten, durchdrungen von dem Gefühl einer großen Bestimmung: ein frühreif genialer, in geheimnisvollen Sphären heimischer, unter der Umwelt schwer leidender Knabe das ist Louis Lambert. Und Louis Lambert ist Balzac.

[ocr errors]

Natürlich gilt diese Gleichsetzung nicht in allen Stücken. Einen,,Tractat über den Willen" wird der vierzehnjährige Balzac noch nicht verfaßt haben. Aber daß er damals viel niedergeschrieben hat, wissen wir ja. Und es ist nicht ohne weiteres abzuweisen, daß unter diesen Aufzeichnungen die ersten Keime jenes „Essai sur les Forces humaines" waren, den Balzac sein Leben lang geplant und den er nie vollendet hat. Daß er schon als Kind das Bewußtsein einer großen Berufung in sich fühlte, geht auch aus „La Peau de Chagrin" hervor, wo es in einem ganz autobiographisch gefärbten Zusammenhang heißt: „Dès mon enfance,je m'étais frappé le front en me disant comme A. Chénier:,Il y a quelque chose là! Je croyais sentir en moi une pensée à exprimer, un système à établir, une science à expliquer.“

Aber das geistige Urphänomen von Balzacs Kindheitsgeschichte scheint mir seinen Ausdruck in „Le Lys dans la Vallée" gefunden zu haben. Daß die Selbstbiographie des Félix de Vandenesse in diesem Roman in Wirklichkeit die des jungen Balzac ist, ergibt sich aus vielen Übereinstimmungen. Mit fünf Jahren, so wird uns erzählt, erfährt der Knabe, der von Eltern und Geschwistern um

« PrécédentContinuer »