In Schwaben war ein Herr anfäßig, dem keine Tugend fehlte, die ein junger Ritter, der nach vollem Lobe strebet, haben soll; so daß im ganzen Lande von Niemand so viel Gutes gesagt ward. Er war reich und von edler Geburt, aber noch viel größer war seine Ehre und sein Muth. Sein Herz hatte Falschheit und Schande verschworen, und er hielt auch seinen Eid treulich bis an sein Ende, denn sein Leben stand ohne Flecken da, und er wußte weltliche Ehre zum rechten Heil anzuwenden, so daß sie sich in jeder reinen Tugend mehrte. Er war eine Blume der Jugend, ein Demant der Treue, eine Krone der Zucht, ein Schirm der Bedrängten, ein Schild seiner Freunde. Nichts war zu viel, nichts zu wenig bei ihm. Sein Name war wohlbekannt, er hieß Heinrich und sein Geschlecht war von der Aue genannt. Wie nun dieser Mann, gepriesen und geehrt, sich Reichthums und fröhlichen Sinnes erfreute, da ward auf einmal sein hoher Muth in ein gar armes Leben herabgebeugt; denn wer in der höchsten Weltseligkeit lebt, der ist vor Gott gering. Darum fiel auch Herr Heinrich mit Gottes Willen aus seinem besten Glücke in ein gar schmähliches Leid und ihn ergriff der Aussat. Als nun diese Heimsuchung an seinem Leibe sichtbar ward, da wendeten sich Mann und Weib von ihm ab, und wie angenehm er der Welt zuvor war, so unerträglich ward er ihr jeßt, so daß ihn, wie den geschlagenen Hiob, Niemand mehr ansehen wollte. Als der arme Heinrich sah, daß er, gleich allen Aussäßigen, der Welt widerwärtig war, da unterschied ihn jedoch sein bitterer Schmerz von Hiobs Geduld; denn er ward unfroh und traurig, sein hochsteigendes Herz sank, sein Honig ward zur Galle, eine schwarze Wolke bedeckte den Glanz seiner Sonne, und ein harter Donnerschlag zerschlug ihm seinen hellen Himmel. Er trauerte, daß er so viel Glück hinter sich lassen mußte, ja oft verwünschte und verfluchte er den Tag, an welchem er zur Welt geboren war. " Doch empfand er wieder ein wenig Freude, als ihm zum Troste gesagt wurde, daß diese Krankheit gar verschieden sey, und zuweilen heilbar. Da dachte er hin und her, wie er wohl genesen könnte, zog gen Montpellier und fragte die Aerzte um Rath; aber es wurde ihm geantwortet, er sey nicht zu heilen, und werde nimmer vom Aussage rein. Traurig hörte er dieß an, und zog weiter gen Salerno, die weisen Aerzte auch dort zu befragen. Nun sagte ihm der beste Meister, der dort war, eine wunderbare Sache, nämlich: daß er zwar heilbar wäre, aber doch nimmermehr werde geheilt werden. Wie mag das zugehen," sprach Heinrich, Du redest gar unverständlich! bin ich heilbar, so werde ich auch geheilt; denn was an Geld oder Zurüstung verlangt ward, das getraue ich mir beizüschaffen!" Lasset das Dingen," antwortete der Meister; „Eure Krankheit ist nun einmal der Art! Was frommts, daß ichs Euch sage? Es giebt | wohl eine Arznei dafür, die Euch heilt: aber kein Mensch ist so mächtig oder klug, daß er sie gewinnen könnte; darum werdet Ihr nimmer geheilt, Gott wolle denn Euer Arzt seyn." Da sprach der arme Heinrich: „Was nehmet Ihr mir meinen Trost hinweg? Ich habe doch so großes Gut; ich kann Euch mir gewiß geneigt machen, daß Ihr mir gerne helfet!" „Mir fehlet nicht der Wille," antwortete der Meister. „Wär' es eine Arznei, die man feil fände oder sonst auf irgend eine Art erlangen könnte, so licße ich Euch gewiß nicht verderben! Aber es ist leider nicht so, und wäre Eure Noth noch größer, so müßte Guch doch meine Hülfe versagt bleiben! Höret an: Ihr müßt eine reine Jungfrau haben, die aus freiem Willen den Tod für Euch leidet. Nun ists aber nicht der Menschen Art, daß Jemand so etwas freiwillig thut. Und doch, wie ich Euch gesagt habe, dieß allein ist die rechte Arznei für Gure Krankheit !“ " Nun erkannte der arme Heinrich wohl, wie es unmöglich sey, daß Jemand gern für ihn stürbe, und aller Trost, auf den er ausgezogen, war ihm hinweggenommen. Fernerhin hatte er keinen Gedanken mehr an seine Genesung, und war des Lebens überdrüssig. Er zog heim und fing an, sein Erbe, wie es ihm am besten schien, auszutheilen. Im Stillen machte er seine armen Verwandten reich, und linderte auch das Elend Fremder; das Uebrige gab er Gotteshäusern, damit sich der Herr seiner Seele erbarme. Von aller seiner Habe behielt er nur ein neuangebautes Land, wohin er vor den Menschen floh. Aber nicht er selbst nur klagte über dieses traurige Verhängniß, sondern er wurde auch von Allen, die ihn selbst oder nach Anderer Sage kannten, bejammert. Jenes Neuland aber baute ein freier Meier, der hier in Ruhe und Friede lebte, während andere Bauern, unter böser Herrschaft, nicht einmal mit Steuer und Gabe großes Ungemach meiden konnten. Was dieser Meier that, das war dem armen Heinrich recht, der ihn auch von aller fremden Last befreit hatte, so daß keiner im ganzen Lande so wohlhabend war. Zu diesem Manne zog der arme Heinrich; der vergalt ihm alle seine Milde, und nichts verdroß ihn, was er um des Kranken willen leiden' mußte; er war so treu gesinnt, daß er Sorgen und Mühe willig ertrug und seinem Herrn Alles gemächlich einrichtete. Gott hatte dem Meier ein glückliches Leben beschieden, denn er hatte einen gesunden, frischen Leib, eine fleißige, sittsame Frau, dazu schöne Kinder, recht, wie ste des Mannes Freude sind. Darunter war ein Mägdlein von zwölf Jahren, von ́gar freundlichen Sitten, das wollte von dem Herrn nicht Fußbreit weichen, um seine Huld und seinen Gruß zu verdienen. Sie war so lieblich, daß sie nach ihrer schönen Gestalt dem Alleredelsten im Reiche als Kind wohl angestanden hätte. Die andern Hausgenossen waren solchen Sinnes, daß sie den Kranken wohl zu Zeiten, wie es sich schickte, mieden; sie aber eilte in jeder Stunde zu ihm, und wollte nirgend anderswohin; mit reiner Kindesgüte hatte sie ihm ihr Herz so ganz zugewendet, daß man das süße Mädchen allezeit zu seinen Füßen sizend sand. Dagegen liebte auch er sie wiederum vor Allen, und was ihr Freude machte, was Kindern bei ihren Spielen gefällt und ihr Herz so leicht gewinnt, das schenkte er ihr oft; bald einen kleinen Spiegel, bald ein Haarband, oder was sonst zu kaufen war. Durch solche Freundlichkeit machte er sie so zutraulich und heimlich, daß er sie seine Frau zu nennen pflegte. So diente sie ihm drei Jahre, welche der arme Heinrich bei dem Meier zubrachte. Nun trug es sich zu, daß dieser mit seinem Weib und seiner Tochter, von der Arbeit ruhend, bei ihm saß und sie sein Leid beklagten. Denn es that ihnen weh; auch mußten sie fürchten, daß sie sein Lod schwer treffen und ein neuer hartgesinnter Herr ste um ihr Glück bringen würde. So saßen sle in Sorgen beisammen, bis endlich der Meier ansing: Lieber Herr, wenn es mit Guren Hulden seyn kann, so fragte ich gerne: da zu Salerno so viele Meister in der Heilkunst sind, wie kommt es, daß keiner so weise ist, und für Eure Krankheit einen Rath findet? Herr, das wundert mich!" Da holte der arme Heinrich mit bitterlichem Schmerz einen Seufzer aus dem Herzensgrund und antwortete so traurig, daß das Seufzen ihm die Worte im Munde zerbrach: „Ich habe diese schimpfliche und verspottete Krankheit wohl verdient; Du hast ja gesehen, daß mein Thor weltlicher Luft weit offen stand, und daß Niemand von meinem Geschlecht so nach Wunsche lebte. Da achtete ich wenig darauf, daß Gott mir dieses Wunschleben nur nach Seiner Gnade verlichen; ich dachte in meinem Sinne, wie alle Weltkinder, daß ich solche Ehre und Freude auch ohne Gott haben könnte. Ueber diesem Hochmuth wurde der hohe Himmelspförtner zornig, er schloß mir die Pforten des leiblichen Heiles und mein thörichter Sinn hat es verwirkt, daß ich nun leider nimmermehr durch sie eingehe. Gott hat eine Krankheit auf mich gelegt, von der mich Niemand befreien kann. Die Guten fliehen mich, die Bösen verschmähen mich; ja keiner ist so schlecht, der mir nicht seine Verachtung zeigt und die Augen von mir abwendet. Nun leuchtet Deine Treue erst recht an mir, daß Du mich Siechen bei Dir duldest und nicht fliehest. Und dennoch, so wenig Du mich scheuest so wie die Sachen mit mir stehen, ertrügest Du doch wohl leicht meinen Tod! Nun sage, wessen Unwerth, wessen Noth war je größer in der Welt? Vorher war ich Dein Herr, nun-bin ich Dein bedürftig, lieber Freund; und Du, Dein Weib und meine Frau hier, Ihr drei verdient das ewige Leben, daß ihr mich Kranken also pfleget. Was Du mich aber gefragt hast, darauf will ich Dir antworten: ich ging nach Salerno und konnte dort keinen Meister finden, der sich meiner Heilung unterwinden durfte oder wollte, denn ich sollte ein Mittel herbeischaffen, wie es Niemand auf Erden mit irgend etwas gewinnen kann. Mir ward nichts Andres gesagt, als daß ich eine mannbare Jungfrau haben müßte, die entschlossen wäre, für mich den Tod zu leiden. Würde ihr in's Herz geschnitten und ihr Herzblut gewonnen, das allein könnte mir helfen. Aber das ist ganz unmöglich, daß für mich Jemand gerne den Tod leide; darum muß ich diese schwere Schande bis an mein Ende tragen, das mir Gott bald gewähre!“ Was der arme Heinrich dem Vater sagte, das hörte die reine Jungfrau mit an, denn die Holdselige hatte ihres Herrn Füße in ihrem Schooße stehen. Sie achtete auf seine Worte und merkte sie wohl, und sie blieben in ihrem Herzen bis zur Nacht eingeschlossen. Als sie sich aber nach ihrer Gewehrheit zu Füßen ihres Vaters und ihrer Mutter niedergelegt hatte und beide eingeschlafen waren, da holte sie über das Unglück ihres Herrn manchen tiefen Seufzer, und ihre Betrübniß war so schmerzlich, daß der Regen ihrer Augen die Füße der Schlafenden begoß. Als diese die Thränen fühlten, erwachten sie, und fragten, was ihr wäre und welch Unglück sie so heimlich beklagte. Sie wollte es aber lange nicht sagen, bis endlich ihr Vater durch sanfte und strenge Worte es dabin brachte, daß sie sprach: „Ihr möget immerhin auch mit mir klagen; denn was kann uns leider seyn, als das Unglück unsers Herrn, den wir verlieren sollen, und mit ihur Gut und Ehre! Nimmermehr bekommen wir einen so guten Herrn, der an uns thut, wie dieser!" Sie antworteten: „Du sprichst wahr. Doch frommt uns leider unsere herbe Trauer und Klage nicht haarbreit. Liebes Kind, wende Deine Gedanken davon ab; es thut uns gewiß so weh, wie Dir, aber leider steht es nicht in unserer Macht, ihm zu helfen. Gott hat es gethan; wär' es ein Anderer, so müßten wir ihm fluchen." So geschweigten sie das Kind; aber sie schlief nicht und blieb traurig die ganze Nacht und den folgenden Tag; was man auch vor= brachte, es kam nicht aus ihrem Herzen. Als sie die andere Nacht wieder nach Gewohnheit schlafen gingen, und sie selbst sich in ihre alte Bettstelle gelegt hatte, da beschloß sie feftiglich bei sich, wenn sie den morgenden Tag erlebte, so wollte sie ihr Leben für ihren Herrn dahingeben. Von diesem Entschlusse ward sie froh und leichten Muthes; ihre einzige Sorge war, daß Herr Heinrich, wenn sie es ihm verkündigte, daran verzagen und daß alle drei es ihr nicht zugeben möchten. Darüber wurde ihre Unruhe so groß, daß Vater und Mutter, wie in voriger Nacht, davon erwachten. Sie richteten sich auf und sprachen: „Was nimmt Dir die Rube? Du bist recht albern, daß Du mit solcher Klage, die doch Niemand enden kann, Dir Dein Herz schwer machst! Warum lässest Du uns nicht schlafen?“ So verwiesen sie ihr die unnüße Sorge und meinten sie beschwichtigt zu haben; Schwab, Deutsche Volksbücher. 11 |